06.04.2022

„Wiesenschafftler-Landwirt“ – erfolgreiches Pilotprojekt der Regierung von Niederbayern nimmt unsere Wiesen ins Visier

Bernhard Lüftl ist jetzt Wiesenschafftler-Landwirt. Ein ungewöhnlicher Titel, dafür umso sprechender: Lüftl schafft etwas – einen ganz neuen Blick auf seine Wiese. Mit Hilfe der Wissenschaft. Und ein bisschen positives „Gschafteln“ aller Beteiligten gehört natürlich auch dazu!

Der frisch gebackene Wiesenschafftler ist stolzer Teilnehmer eines Pilotprojekts der Höheren Naturschutzbehörde der Regierung von Niederbayern. Landwirte nehmen ihre extensiv genutzten Wiesen genauer unter die Lupe und entdecken gemeinsam mit einem Experten der unteren Naturschutzbehörde (uNB), welche Tier- und Pflanzenarten sich auf ihrer Wiese besonders wohl fühlen und was das wiederum über den Bodenstandort und die Bewirtschaftung aussagt. In erster Linie geht es, wie es sich für ein Naturschutzprojekt „gehört“, um die Schaffung von Bewusstsein für Biodiversität und damit auch ihre Förderung. Das ganz Besondere an diesem Projekt ist aber die Partnerschaft, die sozusagen „auf der Wiese“ entsteht: Naturschutz und Landwirtschaft, Hand in Hand, mit einem gemeinsamen Ziel. Und gelingt das? „Ja freilich“, lacht Landwirt Lüftl. Er war gleich neugierig auf das Projekt „Wiesenschafftler-Landwirt“ und lud Biodiversitätsberater Martin Mall von der unteren Naturschutzbehörde des Landratsamts Passau auf seinen idyllisch gelegenen Hof in Windorf im Landkreis Passau, ein.

Auf seinem Nebenerwerbsbetrieb legt Lüftl schon lange Wert auf Nachhaltigkeit. „Ich habe das so von meinem Großvater gelernt. Und je älter ich werde, umso klarer wird mir, dass die Alten in Vielem einfach ein gutes Gespür für die Natur gehabt haben. Wir sollten uns nicht nur als Produzenten sehen, sondern auch als Pfleger der Landschaft. Nur, wenn wir alle leben können, Insekten, Pflanzen, Nutztiere, Menschen, dann ergibt unsere Arbeit einen tieferen Sinn.“ Dass Bernhard Lüftl das ernst meint, kann man auf seinen Wiesen sehen: Der 48-Jährige lässt bewusst Altgrasstreifen stehen, legt wildwachsende Feldraine an und freut sich im Herbst, wenn der Schäfer mit seiner Herde über die Weiden zieht. „Bei mir können die Schafe noch einmal fressen und düngen dafür meine Wiesen. Das eine braucht das andere. So stelle ich mir Landwirtschaft vor.“

Ob er nun einen Biodiversitätsberater auf dem Hof brauchen kann, da war sich der Landwirt anfangs noch nicht so sicher. „Aber neugierig war ich, vor allem auf das, was da auf meinem Hof herauskommt.“ Der junge Martin Mall brachte bei seinem ersten Besuch drei Metallpflöcke mit. Und rammte sie an verschiedenen Stellen bodeneben in das Gras. Fünf Meter um diese Pflöcke liegt nun die sogenannte „Dauerbeobachtungsfläche“. In diesem Radius wird die Tier- und Pflanzenwelt ganz genau unter die Lupe genommen. Am besten über Jahre hinweg. Wie verändert sich die Zusammensetzung der Arten unter unterschiedlichen Umweltbedingungen, durch Trockenheit oder bei anderer Nutzung? Das wird laufend beobachtet. Dazu haben die beiden Profis beim ersten Treffen die Zeigerarten ausgewählt, auf denen das Augenmerk bei der Zählung gelegt werden soll. Der Bauer erklärt dazu, wie er die Wiese bewirtschaften wird. Ein großer Ordner mit Informationsmaterialien zu den verschiedenen Pflanzenarten hilft Bernhard Lüftl dabei, die Arten zukünftig selbstständig zu beobachten und zu bestimmen. Lüftl füllt die bereitgestellten Erhebungsbögen jedes Jahr aus und reicht sie bis Ende Oktober bei der Regierung ein.

Das erste Mal haben sich Lüftl und Mall im vergangenen Frühjahr getroffen. Seitdem hat sich vieles entwickelt, nicht nur auf der Fläche. „Wir zwei haben uns gut kennengelernt und ich denke, wir haben beide einiges dazugelernt“, sagt Martin Mall. „Für mich als Landwirt war es bisher sehr spannend. Die meisten Pflanzen kenne ich natürlich, aber ein paar habe ich erst mit dem Projekt entdeckt. Ich kann zum Beispiel anhand der Flockenblume erkennen ob ich zu stark dünge oder zu oft mähe und dementsprechend reagieren. Und es macht einfach Spaß, wenn man einen Ansprechpartner hat, dem man mal eine Fachfrage stellen kann. Wer seinen Hof besser kennenlernen will, wer eine Freude hat am Forschen und an der Natur, der sollte sich als „Wiesenschafftler-Landwirt“ melden. Weil es spannend ist und weil es auch auf Augenhöhe geht mit dem Naturschutz. Und da haben wir alle was davon.“

Das Projekt „Wiesenschafftler – Landwirt“ wurde im Zuge der Niederbayerischen Biodiversitätsberatung von der Regierung von Niederbayern gemeinsam mit Partnern vor Ort ins Leben gerufen. Die Regierung entscheidet über den Einsatz der Mittel, die der Freistaat Bayern für das Pilot-Projekt zur Verfügung stellt. Die Idee, wertvolle Wiesen und Weiden von den bewirtschaftenden Landwirtinnen und Landwirten beobachten zu lassen und bestimmte Indikatorarten zu zählen und zu dokumentieren, ist nicht neu. In Österreich läuft ein ähnliches Projekt bereits seit über zehn Jahren mit großem Erfolg. Durch die Beobachtungen erhoffen sich die Naturschutzbehörden für alle Beteiligten mehr Wissen über die Zusammenhänge zwischen der Bewirtschaftung und der Entwicklung bestimmter Zeigerarten. Die Entwicklung der beobachteten Arten auf den jeweiligen Flächen wird wohl erst nach mehreren Jahren zu sehen sein. Das betrifft sowohl die einzelnen Flächen als auch die Gesamtheit der untersuchten Wiesen.

Mitmachen können alle Landwirte mit extensiven Wiesen und Weiden in Niederbayern. Momentan braucht es für die erfolgreiche Umsetzung einen Biodiversitätsberater am jeweiligen Landratsamt. In Niederbayern ist dies in Deggendorf, Dingolfing-Landau, Passau, Regen und Straubing-Bogen, Stadt Landshut und Stadt Straubing-Bogen der Fall. Alle Teilnehmer erhalten derzeit eine kleine Aufwandsentschädigung von pauschal 60 Euro für die erste Fläche, die beobachtet wird sowie je 20 Euro für die zweite und gegebenenfalls dritte Fläche. Vor allem gewinnen die Beteiligten aber zusätzliches Wissen über ihre Flächen. Und ganz neue Partner. Voraussetzung ist die Rücksendung der vollständig ausgefüllten Erhebungsbögen bis spätestens zum 31.10. eines Jahres.

Weitere Informationen erhalten Sie bei Ihren zuständigen Biodiversitätsberaterinnen und - beratern.

Blick in den Beobachtungsordner
© @Mia Goller

Blick in den Beobachtungsordner. Neben einer Anleitung und den Aufnahmebögen sind hier Informationen zu Pflanzenarten zu finden

Überblick über die Betriebsflächen
© @Mia Goller

Welche ist Deine schönste Wiese? Landwirt Bernhard Lüftl und Biodiversitätsberater Martin Mall verschaffen sich einen Überblick über die Betriebsflächen.

Mehr Artenvielfalt
© @Mia Goller

Landwirtschaft (Bernhard Lüftl) und Naturschutz (Martin Mall) gemeinsam für mehr Artenvielfalt.